Der schwarze Tod geht um
Im Jahr 1348 wird Florenz von der Pest heimgesucht. In Massen sterben die Menschen dahin, Leichengestank hängt in den Straßen, viele versuchen zu fliehen, um dann doch von der Seuche dahingerafft zu werden. Die Gesellschaft bricht auseinander, die Institutionen hören auf zu funktionieren, Weltuntergangsstimmung, Anarchie, Gewalt und sexuelle Ausschweifungen drohen die einst blühende Stadt zu verschlingen. Um diesem Grauen zu entkommen, ziehen sich sieben junge Frauen und drei junge Männer auf einen idyllischen Landsitz zurück, wo sie, von Dienern umsorgt, singen und tanzen, köstliche Speisen verzehren und hervorragenden Wein trinken. Außerdem beschließen sie, immer nachmittags zusammenzukommen, wobei jede und jeder jeweils eine Geschichte erzählen muss. So entstehen die insgesamt 100 Novellen des Dekamerons, von denen hier einige der berühmtesten zusammengefasst sind:
Der geheiligte Heuchler
Der Notar Chapelet führt ein ruchloses Leben: Er schwört Meineide, lügt und betrügt, hetzt Verwandte und Freunde gegeneinander auf, lästert Gott und die Sakramente, ja er schreckt nicht einmal vor Raub und Mord zurück. Dieser schändliche Mensch wird von einem reichen Kaufmann namens Musciatto Franzesi beauftragt, im Burgund Schulden einzutreiben. Herr Chapelet lässt sich daraufhin im Haus zweier italienischer Freunde Musciattos nieder, doch bald erkrankt er so schwer, dass ihn die Ärzte für todgeweiht erklären. Vom Krankenbett aus hört Chapelet, wie sich seine Gastgeber seinetwegen Sorgen machen: Der Sterbende sei ein derart schlechter Mensch, dass er sicher die heiligen Sakramente ablehnen und als Gottloser in eine Grube geworfen werde. Dies wiederum werde die Bevölkerung gegen jene aufwiegeln, die ihn beherbergt haben. Aber Chapelet, dessen Ruchlosigkeit selbst der nahende Tod nicht zu erschüttern vermag, lässt den frömmsten, gelehrtesten, makellosesten Mönch rufen, um die Beichte abzulegen. Dabei stellt er sich derart wortgewandt-heuchlerisch als tugendhafter Mensch dar, dass er nach seinem Tod ehrenvoll im Kloster bestattet und vom Volk sogar als Heiliger verehrt wird.
Die drei Ringe
Als sich Saladin, der Sultan von Babylon, einmal in großer Geldnot befindet, lässt er den reichen Juden Melchisedech zu sich rufen. Er fragt ihn, welche der drei großen monotheistischen Religionen er für die wahre halte: Judentum, Christentum oder Islam? Der Jude erkennt die Absicht des Saladin: Er soll aufs Glatteis geführt, zu einer unüberlegten Antwort verleitet und danach unter finanziellen Druck gesetzt werden. Melchisedech antwortet mit einem Gleichnis, der Ringparabel: Ein reicher Mann besitzt einen äußerst wertvollen Ring. Jedem seiner drei geliebten Söhne verspricht er das Schmuckstück als Erbe, und um keinen von ihnen zu enttäuschen, lässt er von einem geschickten Meister zwei täuschend echt aussehende Duplikate anfertigen. Nach dem Tod des Mannes wähnt sich jeder Sohn im Besitz des authentischen Ringes, und niemand kann bestimmen, wer Recht hat. Genauso, sagt Melchisedech, sei es auch mit den drei Religionen: Gott habe sie drei Völkern geschenkt, von denen sich jedes im Besitz der wahren göttlichen Erbschaft glaube. Welches Volk Recht habe, werde sich jedoch nie ermitteln lassen. Saladin erkennt die Weisheit des Juden und macht ihn zu seinem Freund.
Ein Mann im Frauenkloster
Masetto, ein hübscher, starker Bauernbursche, lässt sich in einem von Nonnen bewohnten Kloster als Gärtner anstellen, wobei er sich als taubstumm ausgibt. Nach einiger Zeit führen ihn zwei junge Nonnen, von Fleischeslust überwältigt, in ein Nebengebäude, um mit ihm zu schlafen – dies im Glauben, er könne ohnehin niemandem davon erzählen. Nach und nach schließen sich sämtliche andere Nonnen den beiden an, und selbst die Äbtissin zerrt den jungen Gärtner in ihr Schlafgemach. Zunächst ist dieser mit Freuden dabei, doch nach einiger Zeit beginnt er, um seine Manneskraft zu fürchten. Als er wieder einmal bei der Äbtissin weilt, beginnt er sich plötzlich lauthals über die ihm auferlegten Strapazen zu beklagen. „Ich dachte, du wärst stumm!“, ruft erschrocken die Äbtissin. Masetto antwortet, er habe soeben auf wundersame Weise die Stimme wiedererlangt. Die Nonnen behalten ihren Masetto, sie ernennen ihn zum Hausmeister, überanstrengen ihn nicht mehr und behaupten der Außenwelt gegenüber, er habe durch ihre Gebete seine Krankheit überwunden. Im Laufe der Jahre kommen „Mönchlein in Menge“ zur Welt, und als Masetto als alter, durch die Arbeit im Kloster reich gewordener Mann seine Beschäftigung an den Nagel hängt und in sein Dorf zurückkehrt, pflegt er zu sagen: „So verfährt Gott mit denen, die ihm Hörner aufsetzen.“
Lisabettas Basilikumtopf
Drei junge, durch eine Erbschaft reich gewordene Kaufleute bemerken, dass ihre Schwester Lisabetta eine heimliche Liebesbeziehung zu Lorenzo unterhält, der im Geschäft als Diener arbeitet. Zunächst geben die drei Brüder vor, nichts vom Treiben der beiden Liebenden zu wissen; sie behandeln sowohl Lorenzo wie Lisabetta mit der gewohnten Freundlichkeit. Doch um die Familienschande zu tilgen, locken die drei nach einiger Zeit den Liebhaber Lisabettas auf einen Ausflug und bringen ihn um. Zu Hause erzählen sie, sie hätten ihn auf eine lange Dienstreise geschickt, wie es auch früher schon vorgekommen sei. Als Lisabetta immer eindringlicher nach dem Verschwundenen fragt, werden die drei jungen Männer wütend und befehlen der Schwester, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Eines Nachts erscheint Lorenzo seiner verzweifelten Geliebten im Traum, um ihr zu erzählen, was geschehen ist und wo seine Leiche vergraben ist. Lisabetta sucht den Ort auf, beweint die Leiche des Ermordeten, trennt den Kopf ab, wickelt ihn in ein Tuch ein und verbirgt ihn in einem Blumentopf, in dem sie Basilikum anpflanzt. Von Sehnsucht nach ihrem Liebsten verzehrt, weint sie jeweils nachts über der Pflanze, die aufgrund der Tränen und des als Dünger wirkenden Kopfes prächtig gedeiht. Als die Brüder das seltsame Verhalten Lisabettas bemerken, nehmen sie ihr den Topf weg. Durch deren Verzweiflung misstrauisch geworden, graben sie schließlich die Erde um und entdecken den darin verborgenen, halb verwesten Kopf Lorenzos. Aus Furcht vor der Aufdeckung ihres Verbrechens verlassen sie heimlich die Stadt, während Lisabetta vor Kummer krank wird und nach kurzer Zeit stirbt.
Der einbeinige Kranich
Der Koch Chichibio erhält von seinem Herren Currado Gianfigliazzi den Auftrag, einen Kranich zu braten. Der Koch macht sich ans Werk, doch die junge Donna Brunetta bewegt ihn mit ihrem Liebreiz dazu, ihr heimlich einen saftigen Schenkel zu überlassen. Als Currado seinen Koch wegen des fehlenden Schenkels zur Rede stellt, zeigt ihm Chichibio eine Gruppe schlafender Kraniche, die alle auf einem Bein stehen, und sagt: „Seht nur, die Kraniche haben alle nur ein Bein.“ Er werde ihm gleich zeigen, dass auch diese Vögel zwei Beine haben, antwortet der wütende Herr, nähert sich den Tieren und scheucht sie auf, laut „Ho, ho!“ rufend. Augenblicklich setzen die Kraniche das eingezogene Bein auf den Boden, stoßen sich ab und fliegen davon. Nach einem Moment der Bestürzung erwidert Chichibio: „Aber dem Kranich von gestern habt Ihr nicht Ho, ho zugerufen; denn hättet Ihr das getan, hätte er sicher das andere Bein ebenso ausgestreckt wie vorhin diese hier.“ Dem Herrn scheint diese Antwort so originell, dass sein Zorn verraucht und er den Koch ungeschoren davonkommen lässt.
Die Strafe des Ehebruchs in Prato
In der Stadt Prato herrscht ein Gesetz, wonach jede Frau, die ihrem Gatten Hörner aufsetzt, unverzüglich verbrannt wird. Die schöne Filippa wird von ihrem Gatten Rinaldo di Pugliesi beim Liebesspiel mit ihrem Geliebten erwischt. Rinaldo unterdrückt seinen Zorn und widersteht der Anwandlung, seine Frau gleich selber zu töten. Stattdessen zerrt er sie vor Gericht. Vor versammelter Bürgerschaft fragt der Richter die Angeklagte, ob sie sich schuldig bekenne – in der heimlichen Hoffnung, sie möge ihren Fehltritt leugnen, denn es widerstrebt ihm, eine derart schöne Frau zum Tod verurteilen zu müssen. Zur allgemeinen Überraschung gibt Filippa freimütig zu, die Nacht in den Armen ihres Geliebten verbracht zu haben. Aber das Gesetz, wonach sie verurteilt werden soll, sei nicht von Frauen erfunden worden. Und sie habe sich ihrem Ehemann nicht ein einziges Mal verweigert. Es sei doch nicht ihre Schuld, wenn Frauen besser als Männer in der Lage seien, mit mehreren Partnern gleichzeitig zu verkehren: „So frage ich Euch, Herr, was ich, wenn er zu jeder Zeit sich genommen hat, wessen er bedurfte und wonach ihn gelüstete, mit dem machen sollte oder noch soll, das er übrig lässt? Soll ich es vielleicht den Hunden vorwerfen?“ Die Menge bricht ob dieser mutigen und geistreichen Antwort in Gelächter aus und ruft, dass die Angeklagte vollkommen Recht habe. Auf gemeinsamen Beschluss wird das Gesetz abgeschafft, Filippa kehrt fröhlich und siegreich in ihr Elternhaus zurück, während Rinaldo seinen Fehler einsieht und beschämt davonzieht.
Der Geliebte im Weinfass
Die junge Peronella hält sich einen Liebhaber namens Giannello, der jeweils auf ein Schäferstündchen kommt, wenn Peronellas Ehemann bei der Arbeit ist. Als dieser eines Tages überraschend in Begleitung eines Unbekannten früher als gewöhnlich nach Hause zurückkehrt, versteckt die untreue Ehefrau ihren Liebhaber eilends in einem großen Weinfass. Der Ehemann sagt, er habe soeben just dieses Fass seinem Begleiter verkauft, zu einem Preis von fünf Dukaten. Geistesgegenwärtig antwortet Peronella, da sei sie aber erfolgreicher gewesen. Denn der Mann, der jetzt gerade im Fass stecke, sei bereit, sieben Dukaten zu bezahlen, wolle aber zuerst die Qualität des Fasses von innen prüfen. Bei diesen Worten kommt Giannello heraus und sagt, er werde das Fass zwar kaufen, aber nur, wenn es vorher sauber ausgekratzt werde. Nun schickt der Ehemann seinen Begleiter fort und steigt in das Fass, während sich Peronella über die Öffnung beugt und ihm präzise Anweisungen gibt, da und dort zu kratzen. Ihre Worte richten sich jedoch zugleich an ihren Liebhaber, der hinter ihr stehend ihre und seine sexuelle Lust befriedigt, nach Art der „zügellosen und brünstigen Rosse“. Als der Ehemann seine Arbeit beendet hat, bezahlt Giannello die sieben Dukaten und nimmt das Fass mit nach Hause.
Der Geliebte in der Truhe
Spinelloccio und Zeppa sind jung, wohlhabend, eng befreundet und beide mit einer hübschen Frau verheiratet. Sie leben in Siena als Nachbarn. Nach einiger Zeit beginnt Spinelloccio allerdings ein Liebesverhältnis mit der Gattin seines Freundes. Durch Zufall entdeckt Zeppa den Verrat, doch statt Zeter und Mordio zu schreien und seine Schande öffentlich bekannt werden zu lassen, klügelt er einen Racheplan aus. Zunächst zwingt er seine Frau dazu, ihre Untreue einzugestehen und ihm als Wiedergutmachung bei seinem Vorhaben zu helfen. Beim nächsten Treffen zwischen ihr und Spinelloccio kommt Zeppa scheinbar zufällig überraschend nach Hause; die untreue Gattin befiehlt ihrem Liebhaber, sich eiligst in einer großen Kiste zu verstecken. Daraufhin ruft Zeppa die Frau seines Freundes herüber, erzählt ihr, was vorgefallen ist, und bewegt sie durch Liebkosungen, Drohungen und Versprechungen, sich ihm ihrerseits hinzugeben – und dies auf der Truhe, in der Spinelloccio eingeschlossen ist. Als dessen Gattin den ihr zuvor versprochenen wertvollen Edelstein verlangt, öffnet Zeppa die Truhe, worauf Spinelloccio herauskommt. Nach einem Moment der Scham und Schande beschließen die vier, wie bisher Freunde zu bleiben und die gesellschaftlichen Konventionen, die in solchen Fällen Mord, Totschlag und ewige Familienfehde vorschreiben, elegant zu umschiffen, indem nun jede Frau zwei Männer und jeder Mann zwei Frauen hat.
Die Verwandlung in eine Stute
Der Priester Gianni di Barolo hat nicht nur eine Stute, sondern auch einen Freund namens Pietro da Tresanti, der wiederum mit einer schönen jungen Frau verheiratet ist. Eines Tages erzählt der Priester dem Paar, er könne seine Stute in ein Mädchen und dieses wieder in eine Stute verwandeln, wann immer es ihm beliebe. Gutgläubig sagt darauf die Frau zu Pietro, dass sie viel Geld verdienen könnten, wenn auch er in der Lage wäre zeitweilig eine Stute aus ihr zu machen. Die beiden bitten den Priester, ihnen den Zauber beizubringen. Dieser willigt ein; allerdings müsse ihn Pietro während der Verwandlung beobachten, ohne ein einziges Wort zu sagen. Ohnehin sei es besonders schwierig, den Schwanz der Stute richtig zu befestigen. Gianni di Barolo befiehlt der Frau seines Freundes, sich nackt auszuziehen und auf alle viere zu gehen. Darauf betastet er ihren ganzen Körper, wobei er jeweils sagt, dies seien die schönen Beine einer Stute, dies sei eine schöne Stutenbrust usw. Als er den Schwanz machen soll, hebt er sein Hemd, holt „den Pflanzstock“ aus der Hose und nähert sich dem Hinterteil der Dame mit den Worten: „Und dies sei ein schöner Stutenschweif!“ Pietro, dem das nicht gefällt, ruft: „Don Gianni, ich will keinen Schwanz, ich will keinen Schwanz dran!“ Der Priester antwortet darauf, die Stute sei fast fertig gewesen, und nun habe Pietro alles verdorben. Auch die Frau macht ihrem Ehemann Vorwürfe, doch dieser nimmt die Zauberkünste Gianni di Barolos nie mehr in Anspruch.
Umbrüche im Italien des 14. Jahrhunderts
Das 14. Jahrhundert war vom Zerfall der päpstlichen und kaiserlichen Autorität geprägt. 1309 verlegte Papst Klemens V. seinen Sitz von Rom nach Avignon, wodurch die Kirche für rund 70 Jahre unter den Einfluss der französischen Krone geriet. Vollends zerrüttet wurde die päpstliche Autorität während des großen Schismas (Spaltung) der westlichen Kirche, als sich zwischen 1378 und 1415 zwei Päpste – einer mit Sitz in Rom, der andere in Avignon – gegenseitig bekämpften und die jeweiligen Anhänger des gegnerischen Papstes exkommunizierten.
Auch das Kaisertum war trotz mehrfach unternommener militärischer Anstrengungen nicht in der Lage, in Italien als dauernde Ordnungsmacht aufzutreten. Das Land zerfiel in eine Vielzahl kleiner unabhängiger Staaten, die ihre eigenen Interessen verfolgten und zur Sicherung ihrer Macht großenteils auf Söldnerheere angewiesen waren. Hinzu kamen die katastrophalen Pestepidemien, wobei die in der Rahmenerzählung des Dekamerons geschilderte Seuche von 1348 die verheerendste war.
Der Niedergang von Kirche und Kaisertum begünstigte den Aufstieg des städtischen Bürgertums, stärkte erste Versuche, Staat und Kirche zu trennen, und förderte das Interesse an der Kultur und der Geschichte der Antike. Die Tatsache, dass im Dekameron zahlreiche nicht adlige Figuren im Zentrum stehen, ist symptomatisch für diese Erstarkung des Bürgertums. Nicht zuletzt die Rivalität zwischen den einzelnen Kleinstaaten führte zu einer kulturellen Blütezeit, in der Italien in Kunst und Literatur europaweit anerkannte Höchstleistungen erbrachte. Die als „drei Kronen“ bezeichneten Titanen der italienischen Literatur – Dante Alighieri, Francesco Petrarca und Boccaccio – lebten allesamt im von politischer und ideologischer Unsicherheit geprägten 14. Jahrhundert.
Entstehung
Das Dekameron entstand zwischen 1349 und 1353, kurz nachdem Boccaccios Heimatstadt Florenz von der Pest heimgesucht worden war. Der Titel leitet sich von den griechischen Wörtern „deka“ (zehn) und „hemera“ (Tag) ab und lässt sich etwa mit „Zehntagewerk“ übersetzen. Er bezieht sich auf die Struktur der Novellensammlung, für die die als heilig betrachtete Zahl Zehn von entscheidender Bedeutung ist. Boccaccio griff bei der Niederschrift seines Hauptwerkes auf zahlreiche Quellen zurück – nicht weniger als neun Zehntel seines Stoffes soll er aus diesen Quellen bezogen haben –, nahm sich aber bei der literarischen Gestaltung viele Freiheiten heraus. Hauptsächlich ließ er sich von Überlieferungen aus der Antike, von französischen Schwänken und Legenden, von italienischen Erzähltraditionen und von lokalen Chroniken inspirieren. Daneben griff er auch auf orientalische Vorlagen wie die Erzählungen aus 1001 Nacht zurück.
Wirkungsgeschichte
Zusammen mit Dante Alighieri und Francesco Petrarca ist Giovanni Boccaccio einer der Begründer der italienischen Literatur; neben Dantes Göttlicher Komödie und Petrarcas Canzoniere diente sein Dekameron außerdem als linguistisches Modell für die Schaffung der italienischen Hochsprache. Allerdings blieb das Italienische jahrhundertelang eine fast ausschließlich geschriebene Sprache, die lediglich von einer kleinen kulturellen Elite beherrscht wurde; das Volk hingegen sprach den jeweiligen vulgärlateinischen lokalen Dialekt. Erst nach der Entstehung des italienischen Nationalstaates im Jahr 1861 setzte sich das Italienische nach und nach auch als im Alltag gesprochenes Idiom durch. Weil die Sprache Boccaccios, Dantes und Petrarcas also gewissermaßen für lange Zeit mehr oder weniger unverändert „ruhiggestellt“ war, sind deren literarische Erzeugnisse – im Unterschied zu mittelalterlichen deutschen oder englischen Texten – heute noch gut verständlich.
Die Novellensammlung Boccaccios wurde bereits in der Renaissance als Meisterwerk anerkannt und fand schon kurz nach ihrem Erscheinen zahllose Nachahmer, die jedoch zumeist in Vergessenheit gerieten. Bis heute gilt Das Dekameron als Modell für die literarische Gattung der Novellensammlung schlechthin. Es ist eines der bedeutendsten Prosawerke der Weltliteratur und eines der ersten Bücher überhaupt, in dem Figuren wie Prostituierte und einfache Hausfrauen, kleine Betrüger, Bettler, Gaukler und Herumtreiber ohne jeden Moralismus dargestellt werden. Boccaccio hat Autoren wie Miguel de Cervantes und François Rabelais inspiriert, auf seinen schöpferischen Reichtum griffen William Shakespeare und Molière zurück. Gotthold Ephraim Lessing lehnte sich in seiner berühmten Ringparabel aus Nathan der Weise eng an die dritte Novelle des ersten Tages des Dekamerons an.